Ins europäische Ausland, wo man seine Englischkenntnisse anwenden kann, sollte es auf jeden Fall gehen, da waren sich die Abschlussschülerinnen und -schüler der Klasse 10b frühzeitig absolut einig. Dass eine solche Abschlussfahrt jedoch viel Geld kostet und dieses nicht auf Bäumen wächst, stellte für uns keinen Grund dar, sich erst gar nicht mit einer Planung zu beschäftigen. So wurden wochenlang zahlreiche Destinationen, Flugzeiten, Preise für Hotels und Sehenswürdigkeiten ermittelt – bis schließlich ein vielversprechendes und günstiges Reiseziel in den Fokus rückte: Die historisch sehr bedeutsame polnische Stadt Krakau, dessen Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Schnell wurde gebucht.
Am Montagnachmittag, dem 28. Mai 2018, fanden sich 23 muntere und supergelaunte Schülerinnen und Schüler mit ihren beiden Klassenlehrkräften Frau Erkenberg-Andersen und Herrn Schubert am wuseligen Helmut-Schmidt-Airport ein. Und das, obwohl noch am Vormittag für alle Städtetouristen normal Unterricht stattfand. Da wir nur mit Handgepäck und so einigen Zloty reisten, mussten die strengen Regeln zur Mitführung von Flüssigkeiten beachtet werden, was zur ersten großen Herausforderung beim Kofferpacken und bei der Sicherheitskontrolle avancierte. Doch die nächste Hürde ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sich das Abfertigungsgate nochmals änderte und die Bevölkerungsdichte augenscheinlich zur höchsten in ganz Hamburg anschwoll, begann endlich das Boarding. Als der Großteil der Klasse bereits im Bauch des Flugzeuges verschwand, die Lehrer gerade ihre Bordkarten eingescannt hatten, stockte es plötzlich. Die letzte Schülerin in der Reihe hatte ihren Ausweis vergessen, somit ihr Zutritt verweigert. Als die Mitarbeiterin freundlich darauf hinwies, dass das Flugzeug nicht warten werde, und die Lehrkräfte sich jetzt entscheiden müssten, einzusteigen oder in Hamburg zu bleiben, stieg der Adrenalinspiegel in kosmische Dimensionen an. Denn die Schülerin hatte kein Guthaben auf ihrem Handy, keinen Euro dabei und konnte ihre Familie nicht erreichen. Dann fand sich eine zufriedenstellende Lösung, so dass beide Lehrkräfte im Sprint zum Flugzeug eilen konnten. Dort angekommen, passierte erstmal – nichts. Eine gute Stunde warteten wir am Gate auf eine Rollerlaubnis, genug Zeit also, um die anderen über den „Verlust“ der Mitschülerin beim Boarding aufzuklären. Auch kamen beim ewigen Rumsitzen so abstruse Gedanken auf, dass ja fast noch Zeit bliebe, den zurückgebliebenen Reisepass aus Itzehoe auf den Weg nach Hamburg zu bringen.
Wir telefonierten mit „Polen“, um unsere Reiseleiterin Agnieszka über unseren Verbleib zu informieren, die uns endlich am späten Abend am Flughafen Kattowitz geduldig und herzlich in Empfang nehmen konnte. Der miesepetrige Busfahrer, der nur ein paar Brocken Englisch stammeln konnte, brachte uns mit heißen Reifen auf perfekten Landstraßen nach Krakau. So blieb kurz vor Mitternacht noch ein wenig Zeit, die Hotelumgebung abzulaufen und sich mit Getränken und etwas Essbarem zu versorgen.
Der nächste Tag begann mit einem Frühstücksbuffet, bevor wir uns in den nächstgelegenen Supermarkt begaben, um uns für den Tag einzudecken. Für die meisten stellte dies ein ganz neues Kaufgefühl dar. Hatte man gerade an der Kasse wirklich nur soooo wenig Geld für seine Waren bezahlen müssen?
Da „Auschwitz“ auf dem Tagesprogramm stand, erwartete uns erneut der zerknirschte Busfahrer zur Abfahrt. „Ja“, schwörten wir dem Busfahrer, „wir würden selbstverständlich auch heute nicht im Bus essen, nur ganz vorsichtig Wasser trinken und leise sein!“ Angekommen im Stammlager Auschwitz erwartete uns auch schon unsere hochkompetente Führerin, dessen Vokabel allerdings dort eine ganz neue Bedeutung bekam. Sehr schnell wurden wir still, versuchte doch jeder für sich die traurigen Lebensgeschichten der Opfer und die abscheulichen Taten der Täter zu verarbeiten, die in den anschaulichen Erzählungen, aber auch in den Fotoaufnahmen und Originalen wieder lebendig zu werden schienen. Spätestens als man die vielen meterlangen und meterhohen Berge von kleinen Kinderschuhen, Brillengestellen, Koffern und abgeschnittenen Mädchenzöpfen zu Gesicht bekam, rang man mit der eigenen Fassung. Später dann, als wir ins Arbeitslager Birkenau pendelten, kündigte sich ein heftiges Hitzegewitter an. Wie passend, an solch einem denkwürdigen Ort…
Nach der Rückkehr ins wunderschöne Krakau suchten wir nach einem positiven Ausgleich für den Abend. Wir lösten ein 48-h-Ticket für umgerechnet 5,57 € und fuhren mit einem nagelneuen Linienbus ins Stare Miasto, in die Altstadt. In Gruppen erkundeten wir die Gassen, Tuchhallen und den Königsweg. Die allabendlichen Lichterspiele, welche die historischen Gebäude, Kirchen und Springbrunnen in ein romantisches Farbspiel verwandelten, sorgten, neben dem perfekten Sommerwetter, für eine unbeschreiblich gemütliche Atmosphäre. Die ganze Innenstadt war voller Leben. Es wurde für alle ein sehr schöner Abend!
Bevor am späteren Mittwochnachmittag der Transfer zum Flughafen anstand, erwartete uns am Vormittag zunächst die Reiseleiterin Agnieszka zur ausgiebigen Stadtführung. Wir lernten Vieles über die Stadtgeschichte kennen, z.B., dass es durchschnittlich in jeder Straße Krakaus mindestens ein Gotteshaus gibt und, dass der frühere polnische Papst Johannes Paul II eine sehr enge Bindung zur überwiegend erzkatholischen Krakauer Bevölkerung hatte. Nach einer Mittagspause wollten einige die Freizeit zum Shoppengehen nutzen, andere Souvenirs kaufen, einen Abstecher ins jüdische Viertel „Kazimierz“ machen oder eine Bootsfahrt auf der Weichsel unternehmen.
Wie schnell leider die Zeit verflog. Nun aber schnell zurück zum Hotel, denn unser „nette“ Busfahrer würde pünktlich zur Stelle sein und wir wollten ihn keinesfalls weiter verärgern. Denn wir brauchten seine Dienste ja noch ein letztes Mal. Obwohl der eine oder andere Reisende erste Ermüdungserscheinungen zeigte, war die Stimmung im Bus echt super (und auch für den Rest des langen Abends!). Sehr bald musste Herr Schubert dafür drei Hiebe auf seine Kniescheiben kassieren. „Quiet!“ stieß der Busfahrer hervor und führte seine Hand wieder zu seinem Lenkrad zurück. Doch wir lehnten uns entspannt zurück und ließen an uns die polnische Landschaft vorbeiziehen. Nichts aber auch gar nichts konnte die tolle Miniabschlussfahrt mehr trüben.
Text: S. Schubert (Klassenlehrer 10b)
Fotos: R. Dörfling & S. Schubert